Gespräch mit der Soli-Gruppe für die Angeklagten im Antifa-2020-Prozess
Kurz nach dem ersten Zugriff von Cobra-Beamten im Sommer 2020, bei dem es zu einer Hausdurchsuchung kam, es mehrere Beschlagnahmungen von Handys gab und – ebenfalls zum Zweck der Handybeschlagnahmung – zur Kontaktaufnahme mit einem Arbeitgeber von einem Betroffen gekommen ist, formierte sich eine Soli-Gruppe. Menschen in der Gruppe haben verschiedene Hintergründe, manche arbeiten schon lange im Kontext Antirepression, andere sind aus dem näheren Umfeld der Betroffenen. Mit Vertreter_innen der Soli-Gruppen sprachen wir über den Prozess und die Hintergründe.
War die Richterin im Prozess neutral gegenüber den Angeklagten?
Generell gibt es keine Neutralität in einem Strafprozess. Jede_r Richter_in hat bestimmte Meinungen, Vorurteile, Erfahrungen, die in einen Prozess einfließen. Die Justiz ist beispielsweise genauso rassistisch wie die Polizei. Mal mehr, mal weniger. Das ist jetzt nicht der Fall einer einzelnen vorbelasteten Person, sondern strukturell angelegt. Die Richterin selber folgte in ihrer Begründung fürs Urteil schlussendlich zu 100 Prozent dem Konstrukt des Landesamts für Verfassungsschutz Wien. Der Verfassungsschutz hat in den letzten zwei Jahren relativ wüst ermittelt und Zusammenhänge herbeikonstruiert, wo einfach keine waren.
Und am Ende war genau das überraschend, weil die Verhandlungsführung während des Prozesses gar nicht so aufgebaut war. Die Richterin ist relativ sorgfältig vorgegangen, sie hat alle Beweisanträge zugelassen, sie hat immer wieder versucht, die Angeklagten zu Kommentaren zu bewegen.
Die Angeklagten auf der anderen Seite sind in den Prozess gegangen, ohne eine Aussage zu den Vorwürfen an sich zu machen. Nur am Anfang haben sie kurze Statements gegeben, dass sie sich als Antifaschisten verstehen und dass Einzelne schon zum besagten Zeitpunkt am Karlsplatz bei besagter Kundgebung waren, aber darüber hinaus nichts. Die generelle Prozessstrategie der Angeklagten war es, sich überhaupt nicht auf die haarsträubenden Vorwürfe einzulassen. Weil hier eine Gesinnung angeklagt war und Aussagen zur Sache aus prozessstrategischer Sicht wenig Sinn gemacht hätten.
Die Richterin ist absurderweise bei allen Vorwürfen rund um die Ereignisse am Karlsplatz am 7. März 2020 mitgegangen und hat Schuldsprüche ausgesprochen. Das verstehen wir als Kollektivstrafe. In unserer Wahrnehmung hieß es hier, „dabei sein ist alles“.
Die Identifizierung der konkreten Personen, denen ja auch konkrete Taten zugeordnet werden müssten, passierte im Kontext der Karlsplatz-Vorwürfe nicht. Das Einzige belastende kommt vom Verfassungsschutz, der etwa gesagt hat: „Ja, da war eine Person mit einer North-Face-Jacke und eine Person mit Streifen auf den Schuhen, und deswegen waren die das.“ Weil es jetzt weder von den Angeklagten eine Aussage gab noch die Identitären, die sich hier als Opfer stilisieren, irgendwen genau zuordnen konnten, ist eine Verurteilung diesbezüglich reichlich absurd. Auch die geladene Person vom Verfassungsschutz konnte dazu nichts sagen, er hat sich nur auf den Bericht berufen, selbst anwesend am Karlsplatz war er damals nicht. Es bleibt abzuwarten, wie das schriftlich im Urteil letztendlich begründet wird. Alle Angeklagten sind mittlerweile in Berufung gegangen.
Wie wirkte das Verfahren auf euch?
Antirepressionsarbeit bindet ziemlich viele Kräfte. Zeit, in der wir alle was anderes machen könnten, etwa anderweitig politisch aktiv sein. Und ich glaube, alle von uns würden lieber was anderes machen, als Akten zu lesen, Prozessstrategien zu überlegen, Anwält_innen zu koordinieren, Texte zu schreiben, zu überlegen, woher das Geld für Anwält_innen etc. kommt. Das bündelt sehr viele Ressourcen.
Gleichzeitig passiert bei Anti-Rep-Arbeit sehr viel Solidarisches. Menschen aus heterogenen Kontexten kommen zusammen, organisieren sich, nehmen den Normalzustand nicht unwidersprochen hin. Deswegen ist Arbeit wie die unserer Soli-Gruppe selbst auch Aktivismus und eine widerstände Praxis. Sie bringt uns zusammen, es entstehen neue Kooperationen, Vernetzungen und Freund_innenschaften.
Das Verfahren generell ist ausgelegt mit dem Versuch, antifaschistische Bewegungen in Österreich zu kriminalisieren. Es wurden unglaublich tendenziöse Ermittlungen auf einem absurden Konstrukt vom Verfassungsschutz Wien aufgebaut. Der hat sich zu Beginn der Ermittlungen mehr oder weniger eine „kriminelle Vereinigung“ herbeifantasiert. Der Paragrafen 278a – Kriminelle Organisation kam im Vorfeld der polizeilichen Ermittlungen zum Einsatz. Im Verfahren ist der dann aber weggefallen, weil soziale Bewegungen damit nicht mehr kriminalisiert werden dürfen. Auch wenn das dem Landesamt für Verfassungsschutz noch immer nicht bekannt sein dürfte, oder eventuell stört es die Beamt_innen nicht, wenn sie mit rechtlich falschen Paragrafen Ermittlungen einleiten und Repressionsmaßnahmen wie eine Hausdurchsuchung begründen. 2008 wurde der Paragraf schon für die Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung in Österreich angewandt. Was damals auch funktioniert hat, über drei Monate wurden zehn Personen in U-Haft gesteckt. Zwei Jahre später waren sie mit einem sehr aufwendigen, langwierigen und komplexen Prozess konfrontiert. Im Endeffekt wurden alle freigesprochen. Aber wie das bei so Fällen immer ist: Die Repression gewinnt. Die Ermittlungsbehörden haben umfangreiche Einblicke in Szenen bekommen, Wohnungen durchsucht, sie haben Handydaten ausgelesen. Da gibt es einen relativ großen Erkenntnisgewinn. Das muss man immer bedenken, wenn es um Repression geht.
Der Strafprozess ist dann oft der Höhepunkt der Repressionswelle. Was auch in dem aktuellen Fall eine Geschichte für sich ist. Die Verhandlung fand an vier Prozesstagen im Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts, dem größten Verhandlungssaal, statt. Und das unter strengsten Sicherheitsauflagen: Beim Reingehen ins Gebäude gab es Checks wie am Flughafen und beim Eintreten zum Gerichtssaal dann abermals Kontrollen von hochmilitarisierten, bewaffneten Polizeibeamt_innen. Am letzten Verhandlungstag wurden die Personalien von allen Zuschauenden aufgenommen. Es wurde der Eindruck konstruiert, dass wirklich heftige Personen mit Gefahrenpotenzial angeklagt waren. Die Inszenierung war lachhaft auf der einen Seite, aber auch heftig auf der anderen. Einschüchternd und abschreckend soll so ein Theater wohl auf die solidarischen Prozessbeobachter_innen wirken und den anwesenden Medien das Bild vermitteln: Die Angeklagten sind gefährlich.
Trotzdem ist es, durch die sehr starke Präsenz im Zuschauer_innenraum, gut gelungen, den Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Und dass hinter ihnen eine ganze Bewegung steht. Zu jedem Prozesstag gab es Kundgebungen vor dem Landesgericht. Menschen haben sich solidarisch gezeigt, und das ist auch das, was wir mitnehmen: Solidarität und Dagegenhalten funktioniert. Auf der Anklagebank sitzen zwar konkrete Personen, aber angeklagt ist antifaschistisches Engagement generell.
Wie geht’s jetzt weiter und kann man euch irgendwie unterstützen?
Aktuell warten wir auf die zweite Instanz, von der wir uns aber nicht sonderlich viel erhoffen. An den Rechtsstaat glaubt niemand von uns. Wir freuen uns auf Spenden für die laufenden Anwaltskosten.
Rote Hilfe Wien
IBAN: AT46 6000 0103 1036 9883 Verwendungszweck: antifa2020